Kommentare deaktiviert für „Jeder hat verschiedene Ideen, die er im Beirat einbringen kann“
Das DeinRatZählt-Team beschäftigt sich ab sofort mit dem neuen Schwerpunkt-Thema “Beiräte für Menschen mit Behinderungen und weitere Interessenvertretungen”. Andrea Hanisch und Nicole Lemkens haben die Gründung des Behindertenbeirats in Brüggen im Kreis Viersen in die Wege geleitet und begleitet. Deshalb hat DeinRatZählt mit den beiden über die Idee eines Beirates, den Gründungsprozess und Teamarbeit gesprochen. Weitere Videos der beiden und weitere Beiträge zum Thema teilen wir aktuell auf den DeinRatZählt-Social-Media-Kanälen (Instagram & Facebook).
Frau Hanisch und Frau Lemkens, stellen Sie sich bitte vor.
Andrea Hanisch: Ich bin Andrea Hanisch und lebe hier seit 1992 in Brüggen und bin auf einen Rollstuhl angewiesen. Knapp zwölf Jahre war ich ehrenamtliche Behindertenbeauftragte in Brüggen. Die meiste Zeit gemeinsam mit Herrn Kellerhoff, der letztes Jahr im Dezember leider verstorben ist. Wir haben die Beiratsgründung gemeinsam initiiert. Anfang des Jahres habe ich mit Frau Lemkens gesprochen, ob sie mich bei der Beiratsgründung unterstützen möchte. Alleine war mir das zu viel. Seitdem arbeiten wir zusammen.
Nicole Lemkens: Ich heiße Nicole Lemkens und bin 43 Jahre. Ich habe eine behinderte, fast 17-jährige Tochter. Und einen 3-jährigen gesunden Sohn. Ich bin selber seit Geburt krank und nutze zeitweise auch einen Rolli.
Da ich mich mehr für Menschen mit Beeinträchtigungen in Brüggen einsetzen wollte, kam die Anfrage von Frau Hanisch genau richtig. Ich unterstütze sie sehr gerne. Unsere Zusammenarbeit funktioniert super und macht viel Spaß.
Was haben Sie in der Vergangenheit für Menschen mit Beeinträchtigungen in Brüggen umgesetzt?
Andrea Hanisch: Hier in Brüggen gibt es in der Fußgängerzone kleine Boutiquen und Geschäfte. Sie sind nicht alle barrierefrei zu erreichen. Dafür haben wir Rampen angeschafft. Nicht für alle Geschäfte, weil wir so viele Rampen nicht finanzieren konnten. Und wir haben Klingeln angeschafft. Sie wurden an einzelnen Geschäften in der Höhe angebracht, dass Rollstuhlfahrer*innen sie erreichen können.
Wir haben auch Ortsbegehungen gemacht, um zu sehen, welche Gehwege noch abgesenkt werden müssen. Und wir möchten einen integrativen Spielplatz errichten. Geräte sind schon angeschafft worden. Sie müssen noch aufgestellt werden.
Dann hatten wir noch eine Idee mit dem KSL Düsseldorf mit einer Rikscha. Brüggen soll mindestens eine Rikscha erhalten, mit der Menschen mit Beeinträchtigungen Orte erreichen können, zu denen sie sonst aufgrund eingeschränkter Mobilität oder Kraft nicht gelangen könnten. Inwieweit wir das verwirklichen, müssen wir noch schauen.
Darüber hinaus haben wir die Idee entwickelt, touristische Führungen mit Gebärdensprachdolmetscher*innen anzubieten, damit auch Gehörlose teilnehmen können.
Die Idee, einen Beirat zu gründen, gibt es ja schon länger. Können Sie den Entwicklungsprozess beschreiben?
Andrea Hanisch: Herr Kellerhoff und ich haben der Gemeinde viele Vorschläge gemacht, was für Menschen mit Beeinträchtigungen verbessert werden könnte. Aber es wurde nur ein Bruchteil davon umgesetzt. Vieles wurde auch ganz abgelehnt. Das war uns ein Dorn im Auge. Und die Anerkennung fehlte uns. Die Verwaltung und die Politik haben wenig Interesse an unserer Arbeit als Behindertenbeauftragte gezeigt. Herr Kellerhoff hatte dann die Idee, einen Beirat zu gründen. Somit wäre auch die Politik eingebunden. Im Beirat sollen auch Vertreter*innen einzelner Fraktionen dabei sein. Die Politik soll mitbekommen, welche Barrieren es in Brüggen gibt und wieviel Aufwand es ist, sich für Menschen mit Beeinträchtigungen einzusetzen. Wenn man nicht gehandicapt ist oder keinen Bezug zu dem Thema hat, dann hat man auch kein Gespür für die Bedarfe von Menschen mit Beeinträchtigungen. Das war ein ausschlaggebender Grund für die Gründung des Beirates. Die Gemeinde hat sich erst ein bisschen gesträubt hat, einen Beirat einzurichten, doch wir konnten sie überzeugen. Das ist jetzt unser Projekt. Das machen wir sehr gerne.
Wie sah der Gründungsprozess aus? Was waren die einzelnen Schritte?
Nicole Lemkens: Wir hatten am 22. Mai 2021 eine Infoveranstaltung mit Herrn Rodeike vom KSL Düsseldorf zusammen, der uns sehr unterstützt. Wir haben viele Menschen aus Brüggen eingeladen, vor allem auch Menschen mit Handicap. Wir haben darüber informiert, was ein Behindertenbeirat auf sich hat, was die Mitglieder für Aufgaben haben, wie rechtliche Aspekte aussehen und vieles mehr. Herr Rodeike hat einen Vortrag darüber gehalten. Es war eine wirklich gute Infoveranstaltung. Die Teilnehmer*innen waren sehr interessiert und haben auch viele Fragen gestellt.
Am 11. Juni 2021 haben sich einige Menschen mit Handicap in der Burggemeindehalle in Brüggen zusammengefunden. Es wurden an diesem Tag neun Menschen mit Handicap gewählt, die stimmberechtigt sind, und ein Vertreter. Aus der örtlichen Behindertenhilfe hat der Selbsthilfezusammenschluss vier Organisationen gewählt, die beratend tätig sind.
Andrea Hanisch: Die konstituierende Sitzung, in welcher der Beirat offiziell gegründet wurde, fand am 8. September statt und Frau Lemkens wurde als Vorsitzende gewählt. Ich selber werde Frau Lemkens als stellvertretende Vorsitzende bei Ihrer Arbeit unterstützen.
Foto von Frau Hanisch und Frau Lemkens (von links nach rechts) auf der konstituierenden Sitzung.
Was für Themen und Projekte haben Sie geplant? Was möchten Sie konkret umsetzen in Brüggen?
Nicole Lemkens: Bei dem Rikscha-Thema sollten wir konkret gucken, was möglich ist. Und dann schauen wir, was wir in Brüggen noch für Menschen mit Handicap tun können und welche Möglichkeiten wir gezielt haben. Es sind ja mehrere Menschen mit Handicap dabei, die sich einbringen. Die dann sagen können, das ist uns noch wichtig in Brüggen, das möchten wir noch erreichen. Das ist unser Ziel, Menschen, die im Beirat sind und die ein Handicap haben, einfach mitzunehmen. Und jede*r hat verschiedene Ideen, die Frau Hanisch oder ich vielleicht gar nicht sehen.
Andrea Hanisch: Wichtig ist noch, dass bei einzelnen Gehwegen Bordsteine abgesenkt werden. Darum müssen wir uns auf jeden Fall auch noch kümmern. Zudem warten wir derzeit darauf, dass der Platz hinter der Kirche, der Kreuzherrenplatz, barrierefrei umgestaltet wird. Dies hat Herr Kellerhoff in die Wege geleitet. Das ist ein größeres Projekt in der Gemeinde. Es stehen noch Beratungen an. Ich nehme dafür an der Sitzung des Bauausschusses teil. Ansonsten wird sich das nach und nach ergeben.Wir sind zuversichtlich, dass die Mitglieder Vorschläge einbringen.
Viele Kommunen haben Schwierigkeiten, neue Aktive und vor allem auch jüngere Menschen zu gewinnen, die sich politisch engagieren. Sehen Sie das auch so?
Nicole Lemkens: Hier in Brüggen waren das, bevor der Beirat gegründet wurde – soviel ich weiß – nur Frau Hanisch und ich. Ich glaube, dass viele Menschen auch Angst haben, sich politisch zu engagieren. Sie sind möglicherweise der Ansicht, dass sie sich aufgrund ihrer Beeinträchtigung nicht politisch engagieren können.
Andrea Hanisch: Ja, das denke ich auch.
Was könnte helfen, um mehr Menschen zu gewinnen? Um die Angst zu nehmen?
Nicole Lemkens: Vielleicht hilft da schon der Behindertenbeirat. Im Beirat sind ja überwiegend Menschen mit Handicap. Wenn andere vielleicht sehen, die können etwas erreichen, die sind aktiv, vielleicht motiviert das andere auch.
Andrea Hanisch: Ja genau, ich hoffe auch, dass der Behindertenbeirat in diese Richtung etwas bewirken kann.
Mit Beginn dieses Jahres übernahm Ferdi Lenze die Funktion des ehrenamtlichen Beauftragten zur Wahrnehmung der Interessen von behinderten Menschen im Hochsauerlandkreis. Zuvor war er unter anderem Sprecher der Katholischen Behindertenhilfe im Kreis sowie 19 Jahre Vorsitzender des Kreis-Gesundheits- und Sozialausschusses. Diesem Gremium gehört er fortan als beratendes Mitglied an, ebenso wie der Kommunalen Konferenz „Gesundheit, Alter und Pflege“. #DeinRatZählt sprach mit ihm über sein großes Ziel, die kleinen Schritte dorthin und die Vorteile des Alters.
Herr Lenze, wir verraten kein Geheimnis: Sie sind 70 Jahre alt. In diesem Alter lassen es die Menschen normalerweise ruhig angehen und genießen ihre Zeit. Warum übernehmen Sie jetzt noch einmal ein solch wichtiges Ehrenamt?
Ferdi Lenze: Wer sagt denn, dass ich meine Zeit nicht genieße? Aber für mich gehören dazu eben nicht nur Urlaubsreisen oder Gartenarbeit. Ich habe mich immer politisch und sozial engagiert. Die meiste Zeit hier im Hochsauerlandkreis. Es ist ein Teil meines Lebens, mich für andere zu engagieren und die Gesellschaft mitzugestalten. Das hält mich in der Balance.
Ihr jetziger Stellvertreter und langjähriger Vorgänger Heinz Arenhövel ist noch ein paar Jahre älter als Sie. Gibt es keine Jüngeren, die die Interessen von Menschen mit Behinderungen im Kreis wahrnehmen können?
Oh doch, die gibt es in unserer Behinderten-Interessen-Vertretung (BIV) und die engagieren sich auch, wie, wo und wann sie können. Wir Älteren haben neben den notwendigen Erfahrungen einen entscheidenden Vorteil. Das ist Zeit. Wir sind ja ehrenamtlich tätig. Die Jüngeren stehen in ihrem Leben meist an anderen Stellen im Leben. Ausbildung, Studium, Familie, Berufstätigkeit. Da wird es mit der Übernahme von Ehrenämtern schwierig. Mein Terminkalender für die neue Aufgabe ist gut gefüllt. Wir haben hier im Hochsauerlandkreis ein eng geknüpftes und gut funktionierendes Netzwerk von Personen und Strukturen für die Belange von Menschen mit Behinderung. Viele Termine mit kommunalen Entscheidern laufen tagsüber. Aber grundsätzlich haben Sie recht: Mit Blick in die Zukunft brauchen wir viele engagierte junge Menschen. Da bin ich zuversichtlich, dass wir das in unserem Kreis künftig hinkriegen.
Was steht denn auf der Agenda des neuen Behindertenbeauftragten?
Ich will und werde dort anknüpfen, wo wir hier im HSK aktuell stehen. Zurzeit wird der Inklusionsplan überarbeitet. Daran mitzuwirken ist eine große Aufgabe und Herausforderung. Des Weiteren werden wir sehr oft angesprochen, wenn es um baurechtliche Fragen, wenn es um Barrierefreiheit im öffentlichen Raum geht.
Ihre Vision?
Ich hab’s nicht so mit den großen Plänen, sondern bin eher Pragmatiker. Was ist notwendig, was kann umgesetzt werden? Was geht finanziell? Es sind die vielen kleinen Schritte, die zu Veränderungen führen. Barrierefreiheit ist nicht nur der abgesenkte Bordstein. Dazu gehört auch zum Beispiel die Barrierefreiheit im Internet. Texte müssen in einer verständlichen Sprache geschrieben sein, damit alle diese lesen und verstehen können. Inklusion entsteht aber nicht durch Verordnungen, sondern in den Köpfen und Herzen der Menschen. Ich möchte möglichst viele Menschen mit auf diesen Weg nehmen und für Inklusion sensibilisieren. Dazu gehören die Verwaltungen in unseren Städten und Gemeinden, die Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Kirchen. Nur gemeinsam können wir etwas verändern.
Welche Charaktereigenschaften braucht ein ehrenamtlich tätiger Behindertenbeauftragter?
Das Amt hat lediglich eine beratende Funktion. Ich kann also nichts anordnen und anweisen. Ich muss überzeugen, nicht überreden. Dazu braucht es Geduld, aber auch Hartnäckigkeit, Standfestigkeit in der Argumentation und ab und an auch den notwendigen Biss. Das habe ich über viele Jahre gelernt.
Petra Nöhre engagiert sich für die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen in Neuss. Sie ist stellvertretende Vorstandsvorsitzende und Vertreterin der Menschen mit Behinderung beim Sozialverband VDK, Kreisverband Neuss. Zudem agiert sie als stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kreisgruppe Rhein-Kreis Neuss des Paritätischen.
Das KSL Düsseldorf sprach mit ihr über den Runden Tisch zum Thema Inklusion in Neuss, ihren Wunsch einen Behindertenbeirat zu gründen und Themen, die sie aktuell beschäftigen.
Frau Nöhre, stellen Sie sich bitte einmal vor.
Ich bin 60 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt mit der Behinderung. Ich war eine der ersten, die in Deutschland die Peer-Counseling-Ausbildung absolviert hat. Das war 1997. Dann habe ich eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin absolviert, um anschließend im ambulant unterstützten Wohnen zu arbeiten. Diese Tätigkeit musste ich aber aus gesundheitlichen Gründen vor zehn Jahren aufgeben. Bereits in den 90er Jahren war ich im Wetteraukreis in Hessen behindertenpolitisch aktiv. Jetzt engagiere ich mich beim VDK in Neuss.
In welchem Gremium engagieren Sie sich noch für Inklusion?
Wir haben bei uns in Neuss den sogenannten Runden Tisch. Ich selbst bin bereits seit 15 Jahren Mitglied des Runden Tisches. Etwa 30 Personen gehören dem Runden Tisch an. Wir treffen uns leider nur zwei Mal im Jahr. Dem Runden Tisch gehören unter anderem der Geschäftsführer einer gemeinnützigen Werkstatt und der Geschäftsführer der Lebenshilfe Neuss an. Ich würde mir allerdings wünschen, dass beispielsweise der Sprecher vom Werkstattrat und ein Mitglied des Bewohnerrates zum Runden Tisch gehören, also die Betroffenen selber und nicht die Geschäftsführer. Schade finde ich auch, dass wir keine rechtsbindende Abstimmungsmöglichkeit haben und dass wir Maßnahmen somit nicht beschließen können.
Gibt es Themen, die der Runde Tisch angeregt hat und die anschließend umgesetzt wurden?
Das Thema Leichte Sprache wird sehr gut von der Verwaltung aufgenommen. Im Vorfeld der Kommunalwahlen hat die Stadt Neuss eine Broschüre zum Thema Wahlen in Leichter Sprache erstellt. Das fand ich sehr gut. Normalerweise gibt es sogar noch ein Seminar zum Thema Wahlen. Dieses Seminar findet im Ratssaal statt, was mir gut gefällt. Da wird auch erklärt, wie sich die Verwaltung zusammensetzt, was ich sehr hilfreich finde. Da ist die Stadt Neuss dank unseres Bürgermeisters sehr entgegenkommend. Es gibt auch Seminare extra für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung oder für Menschen, die nicht so fit sind oder psychisch krank. Die Seminare sind Corona-bedingt dieses Jahr leider ausgefallen.
Einen Behindertenbeirat gibt es bisher ja noch nicht…
Ich würde mir wünschen, dass ein Behindertenbeirat gegründet wird. Dabei ist es mir besonders wichtig, dass die Mitglieder selbst betroffen sind, also Beeinträchtigungen haben. Ich würde wir wünschen, dass gerade Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung mehr zugetraut wird. Meines Erachtens hat man damit in vielen Gemeinden noch Probleme.
Zudem würde ich mich auch über mehr Mitstreiter*innen und Aktive freuen, die sich für die Rechte und Belange von Menschen mit Behinderungen einsetzen. Wir haben hier in Neuss einen ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten. Gemeinsam mit einem Beirat könnte er mehr bewirken.
Wenn es einen Behindertenbeirat geben würde, wäre das Thema Inklusion meiner Meinung nach auch stärker in den Medien vertreten. Das nehme ich zumindest beim Ausländerbeirat und dem Seniorenbeirat so wahr.
Was sind Themen, die Sie beschäftigen? Was sollte sich ändern für Menschen mit Beeinträchtigungen in Neuss?
Ein wichtiges Thema ist der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV). Ich bin sehr für eine autofreie Innenstadt. Autofreie Innenstädte kann man wesentlich barrierefreier gestalten als Innenstädte mit Autos. Ich möchte eine Innenstadt, die nicht von Autos, sondern von Menschen dominiert wird. Und zwar Menschen aller Schattierungen, mit und ohne Behinderung.
Zudem wünsche ich mir Fahrradverleihe, wo es Räder für Menschen mit Beeinträchtigungen gibt, beispielsweise Dreiräder.
Ein weiteres Thema, das mir am Herzen liegt, sind barrierefreie Arztpraxen. Ich möchte mir eine Arztpraxis nach Qualität und nicht nach Zugänglichkeit aussuchen.
Dann würde mir sehr viel daran liegen, dass die inklusive Jugendarbeit weiter ausgebaut wird. Wir haben hier in Neuss nur ein Jugendzentrum, was wirklich Inklusion lebt. Dort gibt es zum Beispiel gemischte Theatergruppen. Wir hoffen, dass sich andere Einrichtungen ein bisschen von dem Jugendzentrum abgucken. So müssten die Jugendlichen nicht immer nach Neuss in die Innenstadt gehen, sondern könnten auch Angebote vor Ort, in den Stadtteilen, wahrnehmen.
Auch im Sportbereich gibt es ja unheimlich viele Angebote. Aber das Leben besteht nicht nur aus Sport. Dass die Jugend beim Thema Inklusion noch mehr einbezogen wird, das wäre ein Wunsch von mir.
Ein weiteres Anliegen von mir ist das Thema Digitalisierung. Durch Corona tut sich ja schon viel in dieser Hinsicht. Dennoch sollte die Digitalisierung noch mehr ausgebaut und vor allem auch barrierefrei gestaltet werden. Insbesondere im schulischen Bereich. Es gibt unheimlich tolle Tablets mit vielen nützlichen Funktionen. Aber das Kind mit einer sogenannten geistigen Behinderung steht dann außen vor, weil es dafür keine vernünftige Software gibt. Oder der Schulträger hat das Problem übersehen und für dieses Kind keine geeignete Software angeschafft.
Was könnte helfen, um neue Aktive zu gewinnen, die sich in Neuss für das Thema Inklusion/für einen Beirat einsetzen?
Über den Paritätischen sind wir ja gut vernetzt und können da einige Sachen einbringen. Wir benötigen aber auch eine gesunde Mischung an jüngeren und älteren Menschen, die sich aktiv für das Thema Inklusion einsetzen. Diese Leute müssen gegenseitig aufeinander zugehen. Und gemeinsam an einem Ziel arbeiten.
Michael Biesewinkel lebt seit 32 Jahren in seiner Heimatstadt, der Stadt Lübbecke in Nordrhein-Westfalen. Er ist Sozialarbeiter, Diakon und seit seiner Geburt Tetraspastiker. Er hat uns von seinen Erfahrungen als Behindertenbeauftragter und als Vorsitzender des Behindertenbeirats der Stadt Lübbecke berichtet.
Warum und seit wann engagieren Sie sich persönlich?
Ich bin seit 2009 kommunalpolitisch aktiv und war einige Jahre ehrenamtlich Behindertenbeauftragter der Stadt Lübbecke. Mittlerweile bin ich Vorsitzender des örtlichen Behindertenbeirats. Ich bin als Frühchen zur Welt gekommen und habe aufgrund eines Sauerstoffmangels eine beinbetonte Tetraspastik. Geistig bin ich komplett fit und habe früh gemerkt, dass wir uns als Menschen mit verschiedensten Einschränkungen in die Gesellschaft einbringen müssen, sollten und können. Gerade dann, wenn wir nicht wollen das wir in Schubladen gesteckt werden und über uns entschieden wird.
Ich finde zwar, dass die UN-BRK, die Bemühungen der Selbsthilfeorganisationen und mehr ihre Wirkung haben und die selbstverständliche Teilhabe und Partizipation sich in vielen Lebensbereichen verbessert hat, aber je nach regionalen Gegebenheiten ist manchmal noch viel Luft nach oben.
Nichtsdestotrotz: Ich verdanke dem Einsatz meiner Eltern, dass ich zu einer regulären Grundschule gehen durfte und hätte anschließend auf eine Schule für Körperbehinderte gehen sollen. Dass ich stattdessen das Gymnasium besuchen durfte, mein Abitur gemacht und nach einer Ausbildung studiert habe, ist heute zumindest in größeren Teilbereichen selbstverständlicher möglich als früher. Das ist gut so und muss sich weiterentwickeln.
Nicht alle Menschen können sich aufgrund ihrer Einschränkungen selbst umfassend einbringen. Für diese Menschen sollten die Menschen mit weitreichenderen Fähigkeiten Sprachrohr und „Interessensanwalt“ sein. Ich bin das gerne und möchte es noch viele Jahre sein. Dabei habe ich immer das Ziel, die Menschen mit größerem Förderbedarf bestmöglich selbst partizipieren zu lassen.
Welche Beteiligungsmöglichkeiten gibt es in ihrer Kommune in Bezug auf die politische Partizipation von Menschen mit Behinderung?
Zum einen gibt es die Möglichkeit sich in Selbsthilfegruppen zu engagieren und für die Belange der jeweiligen Zielgruppe einzutreten. Das geht seit vielen Jahren. Gleiches gilt für die Beteiligung über eine Partei oder Wählergruppierung. Den Behindertenbeirat als weitere Beteiligungsmöglichkeit gibt es auf örtlicher Ebene in Lübbecke sei 2018.
Welche Themen werden dort schwerpunktmäßig bearbeitet?
Im Behindertenbeirat der Stadt Lübbecke befassen wir uns hauptsächlich mit Themen der Barrierefreiheit. Städtisch berührt vieles das Bauamt. Sei es vollständig barrierefreie Zugänge oder Rampenanlagen oder aber auch die barrierefreie Ausgestaltung des neu bei uns in der Planung befindlichen ZOB´s.
Ein großes Thema ist bei uns aber auch die leichte oder aber auch zumindest einfache Sprache. Hier versuchen wir die Kommunalpolitik und die Stadtverwaltung zu sensibilisieren, dass die Nutzung dieser bei Sitzungen oder bei der Abfassung bestimmter Unterlagen kein hochtrabender Wunsch ist, sondern für manche Menschen unabdingbar nötig, um uneingeschränkt teilhaben zu können. Da sind noch dicke Bretter zu bohren.
Gibt es Erlebnisse, die Sie besonders motiviert haben? Und gibt es auch welche, die Sie vielleicht demotiviert/geärgert haben?
Bisher haben die Kommunalpolitik und Teile der Stadtverwaltung den Mehrwert eines Behindertenbeirats und das Eintreten für selbstverständliche Teilhabe und Selbstbestimmung noch nicht erkannt. Nur durch solche und andere Gremien und Organe der Selbstvertretung ist dem Grundsatz „Nichts über uns ohne uns“ ja auch ganz praktisch entsprochen. Bisher wurden in der gesamten Amtszeit nahezu alle Anliegen und Anregungen auf Ablehnung geprüft. Das zeigt, dass der Beirat nach der Neuwahl nach der Kommunalwahl weiter am Ball bleiben muss. Motivieren tut der Zuspruch der Interessensgruppen, welche wir vertreten. Dieser zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Wie zugänglich/barrierefrei ist bei Ihnen die Arbeit in der Kommunalpolitik und speziell in Ihrem Beirat?
Wenn leichte oder zumindest einfache Sprache selbstverständlicher wäre, dann wäre die Beiratsarbeit für einige der Beiratsmitglieder leichter zu bewerkstelligen und sie könnten sich besser einbringen.
In den Sitzungen des Beirats haben einige der Mitglieder Assistenzen. Diese Assistenzen müssten ihre Personen engmaschiger begleiten. Sie müssten z.B. schon vor der Sitzung persönlich klären, ob sie etwas in der Beiratssitzung ansprechen möchten. Da es aber keine Finanzierung für so eine umfassende Assistenz gibt, gibt es keine optimale Vor- oder Nachbereitung für diese Mitglieder. Bei Interesse und Einigkeit aller Beteiligten könnte man hier bessere Lösungen schaffen und die zugrundeliegenden Rechtsgrundlagen entsprechend anpassen.
Wenn Sie jetzt 3 Wünsche frei hätten, was würden Sie sich in Bezug auf ihre Kommune wünschen?
Ein selbstverständlicheres Interesse an Themen und Entscheidungen rund um das Thema Inklusion und Behinderung in all seinen Facetten der Entscheidungsträger.
Eine bessere Zusammenarbeit des Behindertenbeirats mit der Stadtverwaltung und der Kommunalpolitik. Insbesondere auf Augenhöhe. Im Moment prüfen die Entscheidungsträger vieles automatisch auf Ablehnung.
Was könnte helfen, neue Aktive zu gewinnen? Und was würden sie interessierten Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen, die sich gerne in der Kommunalpolitik engagieren möchten, empfehlen?
Wenn das Gefühl entstehen würde, dass kommunalpolitische Teilhabe und Interessenbekundung seitens der Entscheidungsträger gewünscht und in der heutigen Zeit selbstverständlich wären, dann würde das sicher mehr Menschen motivieren aktiv zu werden.
Es müsste ein selbstverständliches Interesse an den Themen rund um Behinderung und Teilhabe geben, sodass die Gremien und Aktiven als Bereicherung verstanden würden.
Menschen mit Behinderungen kann ich nur raten sich trotzdem einzubringen. Jede Meinung und jede Kompetenz sind wichtig und jeder kann etwas Hilfreiches beitragen. Nur so können Teilhabe, Selbstbestimmung und Inklusion auf allen Ebenen selbstverständlich werden.
Es steht geschrieben: #DeinRatzaehlt auf Instagram
Virginia Grossek und Daria Frank arbeiten für die Agentur Barrierefrei NRW, ein vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen finanziertes Projekt, in Trägerschaft der Evangelischen Stiftung Volmarstein. „Wir beraten die öffentliche Hand sowie die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen zur Umsetzung der Barrierefreiheit in verschiedenen Bereichen:“, sagt Virginia Grossek, die seit über drei Jahren für das Projekt arbeitet.
Barrierefreiheit fördern
Öffentlich zugängliche Gebäude, Mobilität, barrierefreie Dokumente, Leichte Sprache und technische Hilfen sind die Themen, mit denen sich die Mitarbeiter*innen der Agentur Barrierefrei NRW auseinandersetzen. Auch zu assistiven Technologien beraten sie: „Dafür haben wir eine Demonstrationswohnung, in der verschiedenste Assistenzsysteme ausprobiert werden können“, so Grossek.
Was hat die Agentur Barrierefrei mit der politischen Mitbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu tun?
Eine Aufgabe der Agentur Barrierefrei NRW ist es, Ehrenamtliche und kommunale Mitarbeiter*innen miteinander zu vernetzen. „Wir bieten Schulungen an, um den Austausch zwischen Behindertenbeirat und Kommune zu fördern“, sagt Daria Frank, die Rehabilitationspädagogik studiert hat.
Bei welchen Themen müssen Menschen mit Behinderungen beteiligt werden?
Bei einem Umbau oder Neubau von öffentlichen Gebäuden, wie zum Beispiel Rathäusern oder bei der Verteilung von bestimmten Fördergeldern haben die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen ein Recht zur Abgabe einer Stellungnahme. Bei der Planung des öffentlichen Personennahverkehrs müssen sie ebenfalls mit einbezogen werden. Das sind aber nur Beispiele. Grundsätzlich sollten Menschen mit Behinderungen in alle politischen Entscheidungen, die die jeweilige Kommune betreffen, miteinbezogen werden. Dabei ist die Schaffung von mehr Barrierefreiheit nur ein Bereich von vielen.
Warum ist Ihnen die Mitbestimmung von Menschen mit Behinderungen so wichtig?
Menschen mit Behinderungen und Interessenvertretungen sind Expert*innen in eigener Sache, weshalb sie in die Entscheidungen der Kommunen mit einbezogen werden sollten. Gesetzlich sind Kommunen verpflichtet, Teilhabe und Mitbestimmung zu ermöglichen und einen Rahmen dafür zu schaffen. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Akzeptanz bei Betroffenen für Maßnahmen zur Barrierefreiheit höher ist, wenn Menschen mit Behinderungen an den Planungen beteiligt wurden.
Welche Schulungen bieten sie an?
Neben anderen Angeboten bieten wir mit der sogenannten Bestandsaufnahme NRW ein Schulungsangebot für Ehrenamtliche und Mitarbeiter*innen aus den Kommunen an. Wir schulen darin, öffentlich zugängliche Gebäude hinsichtlich ihrer Barrierefreiheit zu prüfen. Dabei werden Fragen wie “Ist das Gebäude für Rollstuhlfahrer*innen zugänglich?” oder “Gibt es eine Induktionsanlage für Menschen mit Höreinschränkungen?” beantwortet.
Studierende der Universität Siegen führen eine Messübung bei einer Schulung der Agentur Barrierefrei NRW durch
Gibt es ein positives Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Kommune und Behindertenbeirat?
Als sehr positiv haben wir die Zusammenarbeit des Hochsauerlandkreises und der Behinderteninteressenvertretung (BIV) empfunden. Menschen mit Behinderungen werden aktiv in die Abstimmunsgprozesse des Kreises einbezogen und auch Mitarbeitende des Kreises sind in der BIV vernetzt und unterstützen beispielsweise bei der Erhebung von gebäuden im Rahmen der Bestandsaufnahme NRW.
Weitere Informationen über die Agentur Barrierefrei NRW und die Ansprechpartner*innen vor Ort finden Sie hier:https://www.ab-nrw.de/
Es steht geschrieben: #DeinRatzaehlt auf Instagram
Wir tragen unsere Erfahrung in die Politik – Stephan John über seine Arbeit im Inklusionsbeirat der Gemeinde Senden:
„Senden soll für jeden Menschen lebenswert bleiben, das unterstütze ich mit meiner Arbeit!“, sagt Stephan John, der sich seit sechs Jahren ehrenamtlich im Inklusionsbeirat Senden engagiert. Er ist selbst sehbehindert und setzt sich vor Ort zusammen mit rund 15 anderen Mitgliedern für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein.
Die Arbeit des Beirates
„Wir arbeiten gut mit der Gemeinde Senden zusammen, damit Inklusion hier vor Ort gelingt!“, berichtet John. So wird der Inklusionsbeirat beispielsweise bei baulichen Veränderungen in der Gemeinde, von der Planung bis zur Endabnahme, mit einbezogen. Ein Beispiel für diese gelungene Zusammenarbeit ist die Steverhalle, welche aktuell saniert wird. „Hierbei haben wir uns unter anderem für den Einbau von Hörschleifen eingesetzt, damit Menschen mit Hörbehinderungen auch die Möglichkeit haben an Veranstaltungen teilzunehmen“, sagt der 60-Jährige.
Drei unterschiedliche Schwerpunkte
Die Mitglieder des Beirates beschäftigen sich mit drei unterschiedlichen Schwerpunkten. Stephan John selbst arbeitet im Bereich “Bauen und Technik” mit. Die zwei weiteren Bereiche “Soziales” und “Internet und Öffentlichkeitsarbeit” werden von anderen Mitgliedern besetzt, wobei es für jedes Thema einen gewählten Sprecher gibt.
Der Inklusionsbeirat fördert zudem die Vernetzung von Menschen mit Beeinträchtigungen vor Ort, zu diesem Zweck wurde im letzten Jahr eine inklusive Radtour in Senden organisiert. Hier geht es zum Artikel über die „Sternfahrt“.
Senden profitiert von der Arbeit des Inklusionsbeirates
John und seine Kolleg*innen haben bereits viel in Senden erreicht: sei es der barrierefrei umgestaltete Kirchplatz und andere öffentliche Gebäude, wie die Ganztagsschule oder das Jugendzentrum. Zusätzlich bietet der Inklusionsbeirat Senden einmal monatlich eine Sprechstunde für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige an. Jeden zweiten Mittwoch im Monat von 17 bis 19 Uhr.
Ein Blick in die Zukunft
„Wir haben schon viel erreicht, aber möchten in Senden noch mehr Barrierefreiheit umsetzen“, sagt John. Wer Interesse bekommen hat und auch im Inklusionsbeirat Senden mitmachen oder sich auf andere Weise vor Ort für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzen möchte, kann die Mitglieder des Beirates per Mail an: info@inklusionsbeirat-senden.de kontaktieren.
Menschen mit Behinderungen haben in Meschede eine starke Lobby: die Behinderten-Interessen-Vertretung Meschede e.V. – kurz: BIV. Dass ihr Rat in der sauerländischen Kreis- und Hochschulstadt zählt, zeigt sich an vielen Stellen im Stadtbild. Für die Vereinsmitglieder sind die Erfolge Ansporn, sich weiterhin für ein „lebenswertes, inklusives Meschede für alle Menschen“ einzusetzen. Gerade jetzt, vor der Kommunalwahl am 13. September 2020, ist Bewusstseinsbildung angesagt.
Natürlich seien ihm die weißen Fliesen mit Punkten und Riffeln auf dem Boden an Ampeln, Treppen und Kreuzungen aufgefallen. Aber dass diese Markierungen wichtige Hinweisgeber und Wegweiser für sehbeeinträchtigte oder blinde Menschen sind, sei ihm bislang nicht klar gewesen. Marlon Knapp ist 20 Jahre jung, Student und kandidiert bei den Kommunalwahlen am 13. September in diesem Jahr erstmals für einen Sitz im Rat der Stadt Meschede. An einem lauen Montagabend im August nimmt er am Stadtrundgang der BIV für angehende Lokalpolitiker teil. Gabriele Borutzki, BIV-Mitglied und als Sehbehinderte Expertin in eigener Sache, zeigt den Kandidat*innen, wo es mit dem Blindenlangstock in der Mescheder City lang geht.
Bewusstsein frühzeitig schärfen
Für Heinz Arenhövel und seine Mitstreiter*innen von der BIV sind junge und engagierte Menschen, die wie Marlon Knapp lokalpolitisch etwas bewegen wollen, eine wichtige Zielgruppe für Ihre Lobbyarbeit. „Wir wollen schon jetzt ihr Bewusstsein für die Belange von Menschen mit Behinderung schärfen“, sagt der ehrenamtliche Behindertenbeauftragte des Hochsauerlandkreises und Gründungsmitglied des seit 2002 bestehenden, eingetragenen Vereins. „Deshalb laden wir Kandidatinnen und Kandidaten aller demokratische Parteien zu solchen Stadtrundgängen ein, um ihnen aus unserer Sicht zu zeigen, was in für Menschen mit Behinderungen in unserer Stadt wichtig ist.“
Die BIV hat sich zur Aufgabe gemacht, die Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen und zu verhindern, ihre gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. „Wir sind kein klassischer Beirat für Menschen mit Behinderungen“, sagt Vereinsvorsitzender Hans Joachim Picht. „Die BIV ist ein Verein, in dem grundsätzlich jeder mitmachen kann, der sich für die Belange von behinderten Menschen einsetzen will.“
Vereinbarung legt Basis
Dass ihre Vorschläge und Hinweise nicht nur gut gemeinte Ratschläge sind, sondern dass daraus auch Taten folgen müssen, gibt es schriftlich: In einer 2007 unterzeichneten Vereinbarung verpflichten sich die Stadt Meschede und die BIV, „aktiv auf Barrierefreiheit und Behindertengerechtigkeit hinzuwirken“. Weiter heißt es dort: Wir „wollen gemeinsam die Stadt für alle Bürgerinnen und Bürger menschenfreundlicher und lebenswerter machen.“ Mittlerweile ist die BIV in den Ausschüssen für Stadtentwicklung, für Generationen, Bildung, Freizeit und Soziales und für öffentliche Sicherheit und Umwelt mit sachkündigen Bürger*innen vertreten. Es gibt regelmäßige Treffen von Stadt und BIV, bei denen der Verein auf bestehende Defizite hinweist, die von der Stadt beseitigt werden sollen.
Bei den Stadtrundgängen mit den Kandidat*innen zur Kommunalwahl machen Heinz Arenhövel und seine Vereinskolleg*innen nicht nur auf die Erfolge aufmerksam. Sie weisen auch auf weiterhin bestehende Defizite hin. Sie zeigen zum Beispiel, wo Eingangstüren sich nicht selbst öffnen oder leicht gängig sind, wo es keine oder zu leise gestellte akustischen Signale an Ampelanlagen gibt, wo die taktilen Bodenplatten nicht korrekt verlegt worden sind oder wo einfach nur Aufstehhilfen bei Bänken fehlen. Der Rat der Expert*innen in eigener Sache scheint zu wirken. „Ich sehe unsere Stadt nach diesem Rundgang mit anderen Augen“, sagt Kandidat Marlon Knapp. Bleibt zu wünschen, dass er auch nach einer möglichen Wahl zum Ratsmitglied die Belange von Menschen mit Behinderungen nicht aus den Augen verliert.
Kommentare deaktiviert für „Alleine kann man nicht Politik machen” – Wolfgang Wessels über sich und seine Arbeit im Beirat für Menschen mit Behinderungen der Stadt Düsseldorf
Wolfgang Wessels, Sozialpädagoge und Erziehungswissenschaftler, ist seit etwa 50 Jahren im sozialen Bereich tätig. Unter anderem war er Geschäftsführer des Landesverbandes für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung NRW. Seit zehn Jahren engagiert sich der 68-Jährige als stellvertretender Vorsitzender im Beirat für Menschen mit Behinderungen der Stadt Düsseldorf. In diesem Jahr beendet er seine Tätigkeit im Beirat.
Das KSL Düsseldorf sprach mit ihm über erfolgreiche Jahre, aktuelle Herausforderungen und mögliche Konzepte für die Zukunft.
Herr Wessels, wie sind Sie dazu gekommen, sich im Behindertenbeirat Düsseldorf zu engagieren?
Das waren persönliche Begegnungen und Belange. Frau Kroker-Christmann, die damalige – inzwischen verstorbene – Vorsitzende, suchte aufgrund der damaligen Satzung einen stellvertretenden Vorsitzenden, der den Mut hatte, das Amt zu übernehmen. Und das habe ich dann auch getan.
Was ist Ihre Motivation, dass sich schon so lange im Behindertenbeirat zu engagieren?
Ich stehe schon lange zu dem Thema der politischen Vertretung von Menschen mit Behinderungen. Mir ist es sehr wichtig, dass es zu einem gemeinschaftlichen Auftreten von Menschen mit Behinderungen kommt und dass wir eine Stimme finden.
Haben die Anliegen des Beirates in Düsseldorf in den letzten Jahren denn Gehör gefunden?
Wir haben acht Jahre eine gute Politik gemacht. Wir haben die Verwaltung mit eigenen Anträgen bombardiert. Beispielsweise haben wir Anfragen gestellt, warum die Inklusion in der Schule xy hakelt. Mir ist aufgefallen, dass dies ungewöhnlich ist. Ich bin nämlich noch Mitglied im Inklusionsbeirat der Stadt Bochum, weil ich ja in Bochum arbeite. Und da habe ich zum ersten Mal einen Antrag gestellt. Die ganze Verwaltung war völlig irritiert, dass von einem Mitglied eines Beirates überhaupt ein Antrag gestellt wurde.
Wurde schon Vieles, was der Beirat angeregt hat, umgesetzt?
Es ist gut gelaufen. In Düsseldorf hat der Beirat sogenannte Runde Tische, das sind Untergruppen. Nur als ein Beispiel. Wir sind sehr aktiv. Das ist gut.
Ein weiteres Beispiel: Die U-Bahn-Haltestelle Nordstraße in Düsseldorf hatte keinen Aufzug. Es sollte ein Aufzug gebaut werden, aber sehr verwinkelt, über mehrere verschiedene Systeme, also verschiedene Aufzüge nebeneinander. Wir wollten das nicht. Wir wollten einen durchgehenden Aufzug haben. Das hätte bedeutet, das damals Parkplätze weggefallen wären. Das ist natürlich in Düsseldorf ein hohes Gut – und dann noch vor einem Drogeriemarkt. Und der Beirat hat durch seine Verweigerung seiner Genehmigung dieser Lösung von verschiedenen Aufzügen durchsetzen können, dass ein durchgehender Aufzug gebaut wurde. Unter Verlust von Parkplätzen.
Ich denke, man hat viel erreicht, in den Zeiten, wo man wirklich aktiv war, mit entsprechender Fortune. Zum Beispiel im schulischen Bereich oder beim Thema Barrierefreiheit. Wir haben auch viel zum Thema Schwerhörigkeit gearbeitet, was ein seltenes Thema ist. Kulturelle Teilhabe war immer wieder ein Thema.
Gab es auch einen großen Misserfolg? Oder gab es mal ein Projekt, wo Sie völlig gescheitert sind?
Deswegen höre ich jetzt auf. Es sind zwei Dinge, die jetzt aktuell gescheitert sind.
Erstens: Wir haben eine Satzung mit einer starken Dominanz der Verbände. Die Satzung ist so angelegt, dass bestimmte Verbände die Besetzung unter sich auskungeln. Da gibt es Defizite. Wir haben die Satzung nicht einhellig, einstimmig verabschieden können.
Zweitens: Nach dem Tod von Frau Kroker-Christmann hat es den Versuch gegeben, die Arbeitsgemeinschaft – so gesehen den Zusammenschluss von Menschen mit Behinderungen – neu zu definieren. Und das hat die Stadt Düsseldorf abgelehnt.
Die kommunikativen Einschränkungen haben Sie gerade schon angesprochen: Wie zugänglich, wie barrierefrei ist die Arbeit grundsätzlich in Ihrem Beirat?
Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten haben während der Sitzungen eine Assistenz. Wir haben natürlich in jeder Sitzung, auch in den Vorbereitungssitzungen, immer Gebärdensprachdolmetscher*innen dabei. Das was wir tun können, machen wir. Und trotzdem bleiben große Probleme. Versuchen Sie mal in einer Gebärdensprache die Nuancen in einer politischen Strategie zu erklären. Da kommt man an seine Grenzen.
Und wie ist das mit der räumlichen Barrierefreiheit, zum Beispiel im Rathaus? Kann jeder, egal welche Einschränkung er hat, auch zu Ihnen kommen? Oder gibt es da noch Barrieren?
Wir tagen immer in einem Saal, der über eine Induktionsschleife verfügt. Es gibt auch einen Aufzug und Stufenmarkierungen. Es ist schon recht optimal, wo wir uns treffen. Schwierig ist immer die Situation, dass wir in Mikrofone sprechen müssen, damit die Induktion funktioniert. Das schafft wiederum eine sehr förmliche Situation. Menschen mit psychischen Erkrankungen können diese Situation nur schwer aushalten.
Wir erinnern vor jeder Sitzung daran, dass laut und deutlich gesprochen wird. Alle nennen ihren Namen, damit beispielsweise Menschen mit Sehbehinderungen die Beteiligten verorten können. Da geben wir uns schon recht Mühe.
Wie schätzen Sie die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen grundsätzlich ein?
Politische Teilhabe ist ja ein Thema für sich. Und es ist ein Thema was in der Lebenswelt von Menschen mit Behinderungen gar nicht so eine große Rolle spielt. Leider. Und das macht die Arbeit schon sehr schwierig. Wir würden uns daher freuen, wenn junge Menschen sich für die Arbeit im Behindertenbeirat interessieren und sich – vielleicht auch temporär – für eine Sache einsetzen würden, zum Beispiel für die schulische Inklusion.
Was denken Sie, was könnte helfen, um neue Aktive zu gewinnen?
Sozialraumorientierte Ansätze. Ich habe ein Konzept geschrieben mit dem Schwerpunkt Themenforen zu entwickeln. Vielleicht auch quartiersbezogene Themenforen, um dann in diesen Netzwerken über bestimmte behindertenspezifische Themen zu reden und dort zu Meinungsbildung zu kommen. Das ist in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Altenhilfe und besonders in der Jugendhilfe Gang und Gäbe. In der Behindertenhilfe ist diese eigentlich moderne Form der Steuerung und Arbeit weitgehend unbekannt.
Das ist ein Anliegen von mir. Dass neben den traditionellen Verbändestrukturen temporäre Netzwerke, auf jeden Fall sozialraumorientierte Netzwerke aufgebaut werden, in denen Steuerung von Behindertenhilfe stattfindet. Vielleicht dann auch quartiersbezogen, also kleinräumiger gearbeitet wird.
Es gibt noch einen zweiten Ansatz, den ich verfechte, mit dem ich aber auch ziemlich alleine bin. Ich glaube, dass die Beratung behinderter Menschen und Politik sehr eng beieinander gehören. Das heißt, im Grunde gehört das Thema der politischen Vertretung auch in die Beratungsstellen hinein. Oder die politische Vertretung muss mit den Beratungsstellen enger kooperieren.
Was würden Sie generell Menschen mit Behinderungen empfehlen, die sich gerne in der Kommunalpolitik engagieren möchten?
Alleine kann man nicht Politik machen. Ich muss mir überlegen, was ich will. Will ich mich engagieren, muss ich andere Menschen mit Behinderungen oder Menschen, die mir gut zugewandt sind, gewinnen. Ich kann auch versuchen, in den politischen Gremien entsprechende Plätze zu bekommen.
Ich kann mich auch parteipolitisch engagieren. Wir haben in der Parteipolitik viele behinderte Menschen, was ich gut nachvollziehen kann. Die Parteien sind – das rechte Spektrum ausgenommen – auch offen gegenüber behinderten Menschen, so dass man sich dort engagieren kann. Oder sollte sogar, nicht kann. Man sollte es tun.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Beirats in Düsseldorf?
Es gibt einen Punkt, in dem ich mit der Stadt und einigen Vertreter*innen behinderter Menschen nicht übereingekommen bin. Politik, wenn sie erfolgreich werden soll, ist so kompliziert und so aufwendig, dass wir das allein im reinen Ehrenamt nicht schaffen. Das heißt, jedes politische Handeln braucht einen gewissen Background von Institutionalisierung. Das ist in der großen Politik die Partei. Das ist in der Behindertenpolitik der Zusammenschluss der Menschen mit Behinderungen.
Es müssen semi-professionelle Strukturen möglich sein. Eine völlig entprofessionalisierte Struktur behinderter Menschen steht einer hoch professionalisierten Struktur einer modernen Verwaltung einer so großen Stadt wie Düsseldorf gegenüber. Leider.
Hart, aber fair – Das ist nicht nur der Titel einer bekannten streitbaren ARD-Talkrunde, sondern auch das Lebensmotto von Wolfgang Bennewitz. Er ist Vorsitzender des Beirats für Menschen mit Behinderungen der Stadt Lünen und hat so manche privaten und beruflichen Höhen und Tiefen erlebt.
Im Gespräch erzählt er uns, warum er sich mit Leib und Seele für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in seiner Heimatstadt einsetzt: „Ich möchte nicht mehr über Barrierefreiheit diskutieren müssen. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Anliegen von Menschen mit Behinderungen in kommunale Prozesse einbezogen werden.“ In Lünen sei man auf einem guten Weg, vieles sei erreicht worden. Der Behindertenbeirat habe mittlerweile ein „gutes Ohr“ in der Verwaltung. „Wir werden gehört“, sagt Bennewitz. „Unser Wissen, unsere Kompetenz und Erfahrung als Expert*innen in eigener Sache wird anerkannt und geschätzt.“ Das war aber wohl nicht immer so. Wolfgang Bennewitz: „Es gibt die UN-BRK (die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen), aber mit einem Muss kommt man in einer Verwaltung mitunter nicht weit.“ Man hat viel Überzeugungsarbeit geleistet.
Rückblende: „Der Herzinfarkt hat mein Leben gänzlich verändert!“
Ein 16-Stunden-Arbeitstag war für Wolfgang Bennewitz völlig normal. Arbeit stand im Mittelpunkt seines Lebens, auch an Wochenenden und im Urlaub. Er war Manager bei T Systems, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom, steuerte große IT-Projekte für namhafte, große Firmen. Er war viel unterwegs in Deutschland, lebte aus dem Koffer und in Hotelzimmern. „Ich war ein Workaholic“, blickt er heute zurück.
Dann kam der Januar 2011. Wolfgang Bennewitz war mit seiner Frau im Urlaub („Den musste ich nehmen!“), als ihn ein Herzinfarkt traf. „Das hat mein Leben gänzlich verändert“, sagt er. „Von über 100 auf unter 0. Nichts ging mehr.“ Nach Klinik und Reha hat er den Wiedereinstieg in seinen alten Beruf probiert – und ist gescheitert. Ende 2011 quittierte er seinen Job und ging in den Ruhestand. „Ich habe lange gebraucht, um aus dem tiefen Loch wieder herauszukommen“, sagt er. Geholfen dabei hat ihm das regelmäßige Training in einer Rehasport-Gemeinschaft. Körperlich, aber auch mental. Der alte Vorsitzende des Vereins wollte aufhören und Wolfgang Bennewitz stellte sich für das Amt zur Verfügung.
„Auf der kommunalen Ebene kann man direkt einwirken.“
So kam Wolfgang Bennewitz auch in den Behindertenbeirat. Denn in Lünen werden dessen Mitglieder von Vereinen/Selbsthilfegruppen aus dem Stadtgebiet ebenso wie aus der kommunalen Verwaltung und den im Stadtparlament vertretenen Parteien delegiert. „Ich engagiere mich dort, wo es nötig ist“, sagt er. Als seine Kinder klein waren, war er Schulpflegschaftssprecher. Im Behindertenbeirat übernahm er nach dem Tod des ehemaligen Vorsitzenden kurzfristig dessen Funktion und wurde im Mai 2017 in diesem Amt bestätigt.
Sein Wunsch: Es sollten sich viel mehr Menschen überhaupt und insbesondere Menschen mit Behinderungen für Ihre Belange engagieren. „Auf der kommunalen Ebene kann man direkt einwirken. Erfolge werden hautnah spürbar“, sagt er. Ein Beispiel: „Wir haben mit der Stadt einen Standard entwickelt, wie barrierefreie Spielplätze ausgestattet sein sollten. Dieser Standard liegt heute allen städtischen Ausschreibungen für die Neuanlage von Spielplätzen zugrunde.“ Darauf seien er und seine Mitstreiter*innen im Behindertenbeirat besonders stolz. Ein anderes Beispiel: Seit 2014 gibt es in Lünen das verbriefte Recht auf Inklusionsverträglichkeit, die die Verwaltung in jeder Ratsvorlage erläutern muss.
Aus solchen Erfolgen zieht Wolfgang Bennewitz seine Motivation fürs Weitermachen, auch wenn es einmal nicht so gut läuft. Manchmal müsse man auch nickelig sein und nerven, stets aber nachhaken, dranbleiben. Denn: „Wir sind nicht der verlängerte Arm der Verwaltung“, unterstreicht Wolfgang Bennewitz. „Wir vertreten die Interessen von Menschen!“
Weitere Informationen zum Behindertenbeirat Lünen gibt es hier
Diese Seite verwendet Cookies. Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Datenschutz-Informationen
Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.