Unser Projekt “In Zukunft inklusiv.” ist im Mai gestartet. Mit ihm bekommen drei NRW-Kreise die Möglichkeit auf eine knapp dreijährige Prozessbegleitung zur Schaffung von nachhaltigen und wirksamen politischen Teilhabestrukturen für Menschen mit Behinderungen. Bis zum 31. August 2022 können sich Kreise bewerben. Vorrangig berücksichtig werden Kreise ohne politische Interessenvertretung (auf Kreisebene) und ohne Kreisbehindertenbeauftragte*n. Alle Infos gibt es auf der Projektseite: www.in-zukunft-inklusiv.de
„Die Kreise haben eine wichtige und besondere Rolle bei der Entwicklung von effektiven und flächendeckenden partizipativen Strukturen für Menschen mit Behinderungen. Sie verbinden die angehörigen Gemeinden miteinander und können von ihrer Position aus gut koordinieren und vernetzen. Wenn dies gelingt, können Synergien genutzt, gemeinschaftlich Wissen generiert und tragfähige Lösungen entwickelt werden“, sagt Projektleiterin Merle Schmidt und ergänzt: „Die Umsetzung stellt grundsätzlich eine große Herausforderung dar.“
Projekt unterstützt Kreise dabei, die eigene Rolle und damit verbundene Aufgaben zu definieren
An dieser Stelle setzt das Projekt „In Zukunft inklusiv.“ an. Es unterstützt die Kreise dabei, ihre Rolle in Bezug auf die Wahrung der Belange der Menschen mit Behinderungen zu definieren, um vor Ort eine passgenaue und nachhaltige Teilhabestruktur in der Kommunalpolitik zu schaffen.
Paket an Qualifizierungsangeboten und individueller Prozessbegleitung
Drei Jahre lang steht das Projektteam den Kreisen zur Seite. Schulungen, unterschiedliche Austausch- und Veranstaltungsformate sowie eine direkte und qualifizierte Beratung schaffen sowohl die notwendige inhaltliche Grundlage, wie auch die Möglichkeit, ein aktives Netzwerk vor Ort auf- und auszubauen. Damit erhalten die Kreise die Chance, sich einerseits rechtssicher und damit im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention aufzustellen. Sie schaffen aber auch mit besseren Teilhabe-strukturen die Möglichkeit für die Menschen vor Ort, den eigenen Wohnort mitzugestalten und so einen positiven Bezug herzustellen. „Ein inklusives Gemeinwesen macht Wohnorte attraktiv und zukunftsfest. Die Lebensqualität wächst für alle“, so Merle Schmidt.
Vorrangig berücksichtigt werden Kreise, die weder eine politische Interessenvertretung auf Kreisebene noch eine Stelle für eine*n Kreisbehindertenbeauftragte*n aufweisen. Mehr Informationen zum Projekt und zur Bewerbung finden Sie unter: www.in-zukunft-inklusiv.de
Das Projekt „In Zukunft inklusiv.“ wird finanziert vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen.
Lange Zeit wurden Menschen, die mit rechtlicher Betreuung leben, von den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen ausgeschlossen. Mit dem im Jahr 2016 beschlossenen Inklusionsstärkungsgesetz wurde diesem Wahlausschluss ein Ende gesetzt. Sie dürfen seitdem auch wählen.
Alle Menschen haben das Recht, sich vor den Wahlen über die Parteien, Parteiprogramme und über den Ablauf der Wahl zu informieren.
Doch für Menschen mit Sehbehinderungen, Hörbehinderungen oder für Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten gibt es dabei häufig größere Hürden: Wen oder was wähle ich am 13. September überhaupt? Wie soll ich wissen, in welchem Wahllokal ich wählen muss, wenn ich die Wahlbenachrichtigung nicht lesen kann? Wo kann ich Informationen in einfacher Sprache über die Kommunalwahl bekommen?
Das Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben Münster hat einmal nachgefragt: Wie bereiten sich eigentlich die Beschäftigten in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen auf die anstehende Wahl vor?
In der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen „Büngern-Technik“ mit Sitz in Borken, arbeiten rund 162 Beschäftigte, die in Handarbeit und in verschiedenen Schritten Holzspielzeuge herstellen. „Jede*r Beschäftigte kann während der Arbeitszeit an zwei bis drei wöchentlich stattfindenden Weiterbildungsangeboten teilnehmen“, sagt Beatrice Benthin, die Organisatorin der Weiterbildungsangebote.
Im Rahmen des sogenannten Sachkundeunterrichts beschäftigen sich die Teilnehmer*innen zurzeit mit der Kommunalwahl im September. „Diejenigen, die nicht wählen gehen, dürfen sich auch nicht beschweren“, sagt Gerd Ziegler, einer der Teilnehmer.
„Ich fühle mich durch das Angebot gut auf die Kommunalwahl vorbereitet“, sagt Peter Kosmeyer.
In den nächsten Wochen möchte die Gruppe Politiker*innen einladen, welche die Wahl aus ihrer Sicht erklären sollen. Zusätzlich ist es geplant Fotos von den Wahlplakaten in Borken zu machen: „Gemeinsam werden wir dann besprechen, welche*r Politiker*in welche Ziele hat“, erzählt Beatrice Benthin.
Kommentare deaktiviert für „Alleine kann man nicht Politik machen” – Wolfgang Wessels über sich und seine Arbeit im Beirat für Menschen mit Behinderungen der Stadt Düsseldorf
Wolfgang Wessels, Sozialpädagoge und Erziehungswissenschaftler, ist seit etwa 50 Jahren im sozialen Bereich tätig. Unter anderem war er Geschäftsführer des Landesverbandes für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung NRW. Seit zehn Jahren engagiert sich der 68-Jährige als stellvertretender Vorsitzender im Beirat für Menschen mit Behinderungen der Stadt Düsseldorf. In diesem Jahr beendet er seine Tätigkeit im Beirat.
Das KSL Düsseldorf sprach mit ihm über erfolgreiche Jahre, aktuelle Herausforderungen und mögliche Konzepte für die Zukunft.
Herr Wessels, wie sind Sie dazu gekommen, sich im Behindertenbeirat Düsseldorf zu engagieren?
Das waren persönliche Begegnungen und Belange. Frau Kroker-Christmann, die damalige – inzwischen verstorbene – Vorsitzende, suchte aufgrund der damaligen Satzung einen stellvertretenden Vorsitzenden, der den Mut hatte, das Amt zu übernehmen. Und das habe ich dann auch getan.
Was ist Ihre Motivation, dass sich schon so lange im Behindertenbeirat zu engagieren?
Ich stehe schon lange zu dem Thema der politischen Vertretung von Menschen mit Behinderungen. Mir ist es sehr wichtig, dass es zu einem gemeinschaftlichen Auftreten von Menschen mit Behinderungen kommt und dass wir eine Stimme finden.
Haben die Anliegen des Beirates in Düsseldorf in den letzten Jahren denn Gehör gefunden?
Wir haben acht Jahre eine gute Politik gemacht. Wir haben die Verwaltung mit eigenen Anträgen bombardiert. Beispielsweise haben wir Anfragen gestellt, warum die Inklusion in der Schule xy hakelt. Mir ist aufgefallen, dass dies ungewöhnlich ist. Ich bin nämlich noch Mitglied im Inklusionsbeirat der Stadt Bochum, weil ich ja in Bochum arbeite. Und da habe ich zum ersten Mal einen Antrag gestellt. Die ganze Verwaltung war völlig irritiert, dass von einem Mitglied eines Beirates überhaupt ein Antrag gestellt wurde.
Wurde schon Vieles, was der Beirat angeregt hat, umgesetzt?
Es ist gut gelaufen. In Düsseldorf hat der Beirat sogenannte Runde Tische, das sind Untergruppen. Nur als ein Beispiel. Wir sind sehr aktiv. Das ist gut.
Ein weiteres Beispiel: Die U-Bahn-Haltestelle Nordstraße in Düsseldorf hatte keinen Aufzug. Es sollte ein Aufzug gebaut werden, aber sehr verwinkelt, über mehrere verschiedene Systeme, also verschiedene Aufzüge nebeneinander. Wir wollten das nicht. Wir wollten einen durchgehenden Aufzug haben. Das hätte bedeutet, das damals Parkplätze weggefallen wären. Das ist natürlich in Düsseldorf ein hohes Gut – und dann noch vor einem Drogeriemarkt. Und der Beirat hat durch seine Verweigerung seiner Genehmigung dieser Lösung von verschiedenen Aufzügen durchsetzen können, dass ein durchgehender Aufzug gebaut wurde. Unter Verlust von Parkplätzen.
Ich denke, man hat viel erreicht, in den Zeiten, wo man wirklich aktiv war, mit entsprechender Fortune. Zum Beispiel im schulischen Bereich oder beim Thema Barrierefreiheit. Wir haben auch viel zum Thema Schwerhörigkeit gearbeitet, was ein seltenes Thema ist. Kulturelle Teilhabe war immer wieder ein Thema.
Gab es auch einen großen Misserfolg? Oder gab es mal ein Projekt, wo Sie völlig gescheitert sind?
Deswegen höre ich jetzt auf. Es sind zwei Dinge, die jetzt aktuell gescheitert sind.
Erstens: Wir haben eine Satzung mit einer starken Dominanz der Verbände. Die Satzung ist so angelegt, dass bestimmte Verbände die Besetzung unter sich auskungeln. Da gibt es Defizite. Wir haben die Satzung nicht einhellig, einstimmig verabschieden können.
Zweitens: Nach dem Tod von Frau Kroker-Christmann hat es den Versuch gegeben, die Arbeitsgemeinschaft – so gesehen den Zusammenschluss von Menschen mit Behinderungen – neu zu definieren. Und das hat die Stadt Düsseldorf abgelehnt.
Die kommunikativen Einschränkungen haben Sie gerade schon angesprochen: Wie zugänglich, wie barrierefrei ist die Arbeit grundsätzlich in Ihrem Beirat?
Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten haben während der Sitzungen eine Assistenz. Wir haben natürlich in jeder Sitzung, auch in den Vorbereitungssitzungen, immer Gebärdensprachdolmetscher*innen dabei. Das was wir tun können, machen wir. Und trotzdem bleiben große Probleme. Versuchen Sie mal in einer Gebärdensprache die Nuancen in einer politischen Strategie zu erklären. Da kommt man an seine Grenzen.
Und wie ist das mit der räumlichen Barrierefreiheit, zum Beispiel im Rathaus? Kann jeder, egal welche Einschränkung er hat, auch zu Ihnen kommen? Oder gibt es da noch Barrieren?
Wir tagen immer in einem Saal, der über eine Induktionsschleife verfügt. Es gibt auch einen Aufzug und Stufenmarkierungen. Es ist schon recht optimal, wo wir uns treffen. Schwierig ist immer die Situation, dass wir in Mikrofone sprechen müssen, damit die Induktion funktioniert. Das schafft wiederum eine sehr förmliche Situation. Menschen mit psychischen Erkrankungen können diese Situation nur schwer aushalten.
Wir erinnern vor jeder Sitzung daran, dass laut und deutlich gesprochen wird. Alle nennen ihren Namen, damit beispielsweise Menschen mit Sehbehinderungen die Beteiligten verorten können. Da geben wir uns schon recht Mühe.
Wie schätzen Sie die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen grundsätzlich ein?
Politische Teilhabe ist ja ein Thema für sich. Und es ist ein Thema was in der Lebenswelt von Menschen mit Behinderungen gar nicht so eine große Rolle spielt. Leider. Und das macht die Arbeit schon sehr schwierig. Wir würden uns daher freuen, wenn junge Menschen sich für die Arbeit im Behindertenbeirat interessieren und sich – vielleicht auch temporär – für eine Sache einsetzen würden, zum Beispiel für die schulische Inklusion.
Was denken Sie, was könnte helfen, um neue Aktive zu gewinnen?
Sozialraumorientierte Ansätze. Ich habe ein Konzept geschrieben mit dem Schwerpunkt Themenforen zu entwickeln. Vielleicht auch quartiersbezogene Themenforen, um dann in diesen Netzwerken über bestimmte behindertenspezifische Themen zu reden und dort zu Meinungsbildung zu kommen. Das ist in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Altenhilfe und besonders in der Jugendhilfe Gang und Gäbe. In der Behindertenhilfe ist diese eigentlich moderne Form der Steuerung und Arbeit weitgehend unbekannt.
Das ist ein Anliegen von mir. Dass neben den traditionellen Verbändestrukturen temporäre Netzwerke, auf jeden Fall sozialraumorientierte Netzwerke aufgebaut werden, in denen Steuerung von Behindertenhilfe stattfindet. Vielleicht dann auch quartiersbezogen, also kleinräumiger gearbeitet wird.
Es gibt noch einen zweiten Ansatz, den ich verfechte, mit dem ich aber auch ziemlich alleine bin. Ich glaube, dass die Beratung behinderter Menschen und Politik sehr eng beieinander gehören. Das heißt, im Grunde gehört das Thema der politischen Vertretung auch in die Beratungsstellen hinein. Oder die politische Vertretung muss mit den Beratungsstellen enger kooperieren.
Was würden Sie generell Menschen mit Behinderungen empfehlen, die sich gerne in der Kommunalpolitik engagieren möchten?
Alleine kann man nicht Politik machen. Ich muss mir überlegen, was ich will. Will ich mich engagieren, muss ich andere Menschen mit Behinderungen oder Menschen, die mir gut zugewandt sind, gewinnen. Ich kann auch versuchen, in den politischen Gremien entsprechende Plätze zu bekommen.
Ich kann mich auch parteipolitisch engagieren. Wir haben in der Parteipolitik viele behinderte Menschen, was ich gut nachvollziehen kann. Die Parteien sind – das rechte Spektrum ausgenommen – auch offen gegenüber behinderten Menschen, so dass man sich dort engagieren kann. Oder sollte sogar, nicht kann. Man sollte es tun.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Beirats in Düsseldorf?
Es gibt einen Punkt, in dem ich mit der Stadt und einigen Vertreter*innen behinderter Menschen nicht übereingekommen bin. Politik, wenn sie erfolgreich werden soll, ist so kompliziert und so aufwendig, dass wir das allein im reinen Ehrenamt nicht schaffen. Das heißt, jedes politische Handeln braucht einen gewissen Background von Institutionalisierung. Das ist in der großen Politik die Partei. Das ist in der Behindertenpolitik der Zusammenschluss der Menschen mit Behinderungen.
Es müssen semi-professionelle Strukturen möglich sein. Eine völlig entprofessionalisierte Struktur behinderter Menschen steht einer hoch professionalisierten Struktur einer modernen Verwaltung einer so großen Stadt wie Düsseldorf gegenüber. Leider.
Hart, aber fair – Das ist nicht nur der Titel einer bekannten streitbaren ARD-Talkrunde, sondern auch das Lebensmotto von Wolfgang Bennewitz. Er ist Vorsitzender des Beirats für Menschen mit Behinderungen der Stadt Lünen und hat so manche privaten und beruflichen Höhen und Tiefen erlebt.
Im Gespräch erzählt er uns, warum er sich mit Leib und Seele für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in seiner Heimatstadt einsetzt: „Ich möchte nicht mehr über Barrierefreiheit diskutieren müssen. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Anliegen von Menschen mit Behinderungen in kommunale Prozesse einbezogen werden.“ In Lünen sei man auf einem guten Weg, vieles sei erreicht worden. Der Behindertenbeirat habe mittlerweile ein „gutes Ohr“ in der Verwaltung. „Wir werden gehört“, sagt Bennewitz. „Unser Wissen, unsere Kompetenz und Erfahrung als Expert*innen in eigener Sache wird anerkannt und geschätzt.“ Das war aber wohl nicht immer so. Wolfgang Bennewitz: „Es gibt die UN-BRK (die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen), aber mit einem Muss kommt man in einer Verwaltung mitunter nicht weit.“ Man hat viel Überzeugungsarbeit geleistet.
Rückblende: „Der Herzinfarkt hat mein Leben gänzlich verändert!“
Ein 16-Stunden-Arbeitstag war für Wolfgang Bennewitz völlig normal. Arbeit stand im Mittelpunkt seines Lebens, auch an Wochenenden und im Urlaub. Er war Manager bei T Systems, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom, steuerte große IT-Projekte für namhafte, große Firmen. Er war viel unterwegs in Deutschland, lebte aus dem Koffer und in Hotelzimmern. „Ich war ein Workaholic“, blickt er heute zurück.
Dann kam der Januar 2011. Wolfgang Bennewitz war mit seiner Frau im Urlaub („Den musste ich nehmen!“), als ihn ein Herzinfarkt traf. „Das hat mein Leben gänzlich verändert“, sagt er. „Von über 100 auf unter 0. Nichts ging mehr.“ Nach Klinik und Reha hat er den Wiedereinstieg in seinen alten Beruf probiert – und ist gescheitert. Ende 2011 quittierte er seinen Job und ging in den Ruhestand. „Ich habe lange gebraucht, um aus dem tiefen Loch wieder herauszukommen“, sagt er. Geholfen dabei hat ihm das regelmäßige Training in einer Rehasport-Gemeinschaft. Körperlich, aber auch mental. Der alte Vorsitzende des Vereins wollte aufhören und Wolfgang Bennewitz stellte sich für das Amt zur Verfügung.
„Auf der kommunalen Ebene kann man direkt einwirken.“
So kam Wolfgang Bennewitz auch in den Behindertenbeirat. Denn in Lünen werden dessen Mitglieder von Vereinen/Selbsthilfegruppen aus dem Stadtgebiet ebenso wie aus der kommunalen Verwaltung und den im Stadtparlament vertretenen Parteien delegiert. „Ich engagiere mich dort, wo es nötig ist“, sagt er. Als seine Kinder klein waren, war er Schulpflegschaftssprecher. Im Behindertenbeirat übernahm er nach dem Tod des ehemaligen Vorsitzenden kurzfristig dessen Funktion und wurde im Mai 2017 in diesem Amt bestätigt.
Sein Wunsch: Es sollten sich viel mehr Menschen überhaupt und insbesondere Menschen mit Behinderungen für Ihre Belange engagieren. „Auf der kommunalen Ebene kann man direkt einwirken. Erfolge werden hautnah spürbar“, sagt er. Ein Beispiel: „Wir haben mit der Stadt einen Standard entwickelt, wie barrierefreie Spielplätze ausgestattet sein sollten. Dieser Standard liegt heute allen städtischen Ausschreibungen für die Neuanlage von Spielplätzen zugrunde.“ Darauf seien er und seine Mitstreiter*innen im Behindertenbeirat besonders stolz. Ein anderes Beispiel: Seit 2014 gibt es in Lünen das verbriefte Recht auf Inklusionsverträglichkeit, die die Verwaltung in jeder Ratsvorlage erläutern muss.
Aus solchen Erfolgen zieht Wolfgang Bennewitz seine Motivation fürs Weitermachen, auch wenn es einmal nicht so gut läuft. Manchmal müsse man auch nickelig sein und nerven, stets aber nachhaken, dranbleiben. Denn: „Wir sind nicht der verlängerte Arm der Verwaltung“, unterstreicht Wolfgang Bennewitz. „Wir vertreten die Interessen von Menschen!“
Weitere Informationen zum Behindertenbeirat Lünen gibt es hier
Kommentare deaktiviert für „Erst um halb 3 duschen dürfen. Wie fändest du das?“ – Anke Wortmann über ihren Weg zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe: im Privaten und in ihrer Stadt
„Du kannst sowieso nichts, du kommst doch eh nur in die Werkstatt“ – Das hat Anke Wortmann als Jugendliche oft gehört. Und gerade deswegen hat sie ihr Leben selbst in die Hand genommen. Und das Stadtleben in Hamm aktiv mitgestaltet. Seit fast 20 Jahren ist sie Vorstandsmitglied von der Lebenshilfe Hamm. Und sie hat sich vor ihrer Rente im Werkstattrat für die Beschäftigten eingesetzt. „Ich bin eine Kämpferin und ich kämpfe nicht nur für mich!“, betont Anke Wortmann. Für uns klingt das stark und mutig.
Anke Wortmann ist 54 Jahre alt und hat seit ihrer Geburt eine Spastik und Lernbehinderung. „Na und? Mein Glas ist immer halb voll“, sagt sie dazu. Woran sollte sie das auch hindern? Außer am Restaurant-Besuch vielleicht. Das liegt aber an den unnötigen Barrieren: „Erst heute wollte ich frühstücken gehen, kam aber nicht in das Café hinein. Da war ich sauer!“, sagt Anke Wortmann. Die meisten Geschäfte und Lokale haben immer noch eine Stufe am Eingang. Und oft keine Bereitschaft, das zu ändern. Mit Rollstuhl oder Gehstützen kommt Anke Wortmann da nicht weit.
Missstände immer ansprechen und hartnäckig bleiben
Ausflüge, Konzert-Besuche, alles kein Problem. Aber in der Ritterpassage endete mal ein Ausflug mit einem Sturz aus dem E-Rolli. Da trommelte sie kurzerhand Politiker*innen aus Hamm zusammen. „Damit die sich die Bordsteinkante mal selbst angucken“ sagt sie. Danach wurde der Bordstein endlich abgesenkt. „Manchmal muss man den Leuten so richtig auf den Sender gehen! Einmal nett fragen, reicht oft nicht aus“, findet Anke Wortmann.
Hier in der Ritterpassage endete mal ein Ausflug von Anke Wortmann mit einem Sturz aus dem E-Rolli. Foto: Henrik Wiemer, Westfälischer Anzeiger
Vielen Menschen mit Behinderungen fehlt der Mut, Wünsche zu äußern
Bis ins Erwachsenenalter werden viele nicht ernst genommen: von ihren Pflegekräften, Ärzt*innen, Betreuer*innen, manchmal von den eigenen Eltern. Das kann am Selbst-Bewusstsein kratzen. Besonders den Frauen in ihrem Umfeld gibt Anke Wortmann den Ratschlag: „Ihr müsst dranbleiben!“ Wenn das Wünsche äußern allein nicht hilft, kann man neue Möglichkeiten suchen: Der Arbeitsplatz, die Wohngruppe, aber auch der Pflegedienst oder die Arztpraxis – all das können Menschen mit Behinderung wechseln. Denn niemand muss sich gegen den eigenen Willen erst nachmittags duschen lassen. Oder sich die Privatsphäre nehmen lassen.
Selbst bestimmen kann auch heißen, dass ich bei der Schuh-Bestellung die Farbe für meine orthopädischen Schuhe aussuche. Anke hat sich für rosa Leder und Sterne entschieden.
„Ich hab‘ mir einen Betreuer gesucht. Der hat mir geholfen“, erzählt Anke Wortmann. Unterstützen kann auch eine Interessen-Vertretung. In der Lebenshilfe-Werkstatt gibt es mittlerweile eine Frauen-Beauftragte. Und zur Europa-Wahl regte Anke Wortmann eine Informations-Veranstaltung an. Alle Werkstatt-Beschäftigten kamen in den Zentralhallen zusammen. Dort konnten sie sich über die einzelnen Parteien informieren. Denn auch Menschen mit Behinderungen dürfen und können wählen! Und sie brauchen genauso Informationen über Partei-Programme.
Jede hat ein Recht darauf, ernst genommen zu werden
Wie können wir Menschen mit Behinderungen noch mehr beteiligen? Dazu sagt Anke Wortmann: „Viele Menschen können nicht richtig lesen. Sie brauchen Leichte Sprache und Bilder neben dem Text!“ Rückhalt und Respekt von den Mitbürger*innen kann auch nicht schaden. „Manchmal sagen mir Fremde: Toll, was Sie so schaffen!“ Auch das macht Mut, sich noch mehr zu trauen.
Annette Runte ist 51 Jahre alt und seit 30 Jahren schwerbehindert. Vor fünf Jahren setzte sie sich gemeinsam mit anderen Mitstreiter*innen erfolgreich für die Gründung eines Behindertenbeirats in ihrer Heimatstadt Gütersloh ein. Seitdem ist sie aktives Mitglied und gestaltet so die Politik vor Ort mit. Warum sie das macht, was sie motiviert und auch, was sie manchmal ärgert, hat sie uns in einem Gespräch erzählt.
“Ich mache den ersten Schritt, denn kaum einer holt Menschen mit Behinderung in die Politik oder andere Gremien. Selber muss man den ersten Schritt machen, auf die anderen zugehen und klar machen, dass man sich aktiv beteiligen will. Erst wenn man sich darüber bekannt gemacht hat, wird man vielleicht direkt angesprochen.” Foto: Westfalen-Blatt, Carsten Borgmeier
Frau Runte, warum ist Ihnen Ihr Engagement im Behindertenbeirat der Stadt Gütersloh wichtig?
Ich engagiere mich in unserem Behindertenbeirat, um meinen Wohnort für Menschen mit Behinderung lebenswerter zu machen. Ich will damit möglichst viele Entscheidungsträger für die Belange von Menschen mit Behinderung sensibilisieren und bei anstehenden Projekten darauf achten, dass so weit wie eben möglich Barrierefreiheit hergestellt wird.
Wie sind Sie dazu gekommen im Beirat mitzuwirken? Gab es einen bestimmten Auslöser?
Ich habe mich schon bevor es einen Behindertenbeirat vor Ort gab, mit Hinweisen an die Stadt gewandt, wo Barrierefreiheit hergestellt werden muss. Aber als einzelne Bürgerin hat das nicht so das Gewicht. Deshalb habe ich mit dafür gekämpft, dass ein Behindertenbeirat eingerichtet wird, um der Notwendigkeit nach Barrierefreiheit mehr Nachdruck zu verleihen.
Welche Themen werden bei Ihnen im Behindertenbeirat schwerpunktmäßig bearbeitet?
Oft geht es um Barrierefreiheit auf Straßen, Rad- und Fußwegen, bei Bushaltestellen und öffentlich zugänglichen Gebäuden. Es gehört aber auch die allgemeine Sensibilisierung aller Entscheidungsträger für die Belange von Menschen mit Behinderung und natürlich die Beratung von Menschen mit Behinderung dazu.
Gibt es Erlebnisse, die Sie bei Ihrer politischen Arbeit besonders motiviert haben?
Auf jeden Fall die offenen Türen der verschiedenen Fachbereiche der Stadtverwaltung. Dort haben sehr viele ein offenes Ohr für die Belange von Menschen mit Behinderung. Und auch die Erfahrung, dass das Fachwissen des Behindertenbeirates sehr geschätzt und oft von Verwaltungsseite angefordert wird.
Gab es auch Momente, die schwierig waren?
Ja, zum Beispiel wenn man für eine Ausschusssitzung nicht zugelassen wurde, weil man nicht fraktionskonform abstimmen konnte, da die Belange von Menschen mit Behinderung dem entgegenstanden. Oder wenn die Fraktionen sich in keiner Weise bemüht hat, die Menschen mit Behinderung in die Sitzungen einzubinden, weil es vielleicht für die Nichtbehinderten anders und umständlicher ist, als sonst.
Inzwischen werden wir aber eher eingeladen als ausgeschlossen. Außerdem ist in der Satzung des Behindertenbeirates festgelegt, dass wir jederzeit Anträge stellen dürfen. Und die werden auch immer angenommen, sogar, wenn sie etwas spät eingehen. Viele Politiker sehen uns inzwischen als hilfreiche Ergänzung.
Wie kann man sich aktuell in Gütersloh eigentlich als Mensch mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen politisch beteiligen?
Das geht im Behindertenbeirat, den Parteien, als sachkundige*r Bürger*in, in Selbsthilfegruppen und Vereinen. Dazu besteht die Möglichkeit, Briefe an die Stadt zu schreiben, in denen man genau begründet, was verändert werden muss und möglichst schon die Lösung mitliefert. Den Behindertenbeirat gibt es seit 2015. Die anderen Möglichkeiten bestehen schon seit vielen Jahrzehnten. Mitglied in einer Partei, einem Gremium, Verein usw. werden, war noch nie das Problem. Aber die aktive Mitarbeit als Mensch mit Behinderung in den politischen Gremien ist heute noch schwierig und häufig nicht erwünscht.
Wie zugänglich ist bei Ihnen die Arbeit in der Kommunalpolitik und speziell in Ihrem Beirat?
Die Verwaltung ist immer sehr bemüht, barrierefreie Räume für Treffen und Sitzungen des Behindertenbeirats zu wählen. Sie gehen auf die Belange der einzelnen Mitglieder so gut wie möglich ein und sind gerne behilflich.
Bei den einzelnen Parteien sieht es schwieriger aus. Die meisten Geschäftsstellen sind nicht barrierefrei. Wenn dann mal Anpassungen vorgenommen werden wie etwa die Bereitstellung einer Rampe oder eines Treppenlifts, werden immer noch nicht die Betroffenen gefragt. Die Ergebnisse sind oft nicht für alle geeignet. Die Bemühung, Menschen mit Behinderung zu inkludieren, sind hier oft nur Worte ohne echte Taten.
Der Behindertenbeirat arbeitet eng mit dem Fachbereich Stadtplanung und der Stadtbus GmbH zusammen, um den Busverkehr in Gütersloh so barrierefrei wie möglich auszubauen. Ergebnis bislang: Alle Stadtbusse sind Niederflurbusse mit Rampe. Die Neuanschaffungen haben eine zweite Stellfläche für Rollstuhlfahrer und eine weitere Stellfläche für Kinderwagen, damit die Stellfläche für Rollstuhlfahrer frei bleibt. Foto: Westfalen-Blatt, Carsten Borgmeier
Frau Runte, angenommen, Sie hätten jetzt drei Wünsche frei, was würden Sie sich in Bezug auf ihre Kommune wünschen?
Zunächst strengere Auflagen für Bauherren und Architekten für barrierefreies Planen und Bauen, damit mehr Wohnraum entsteht, der für Menschen mit Behinderung nicht nur auf dem Papier geeignet ist.
Dann würde ich mir so viel Sensibilität bei den Entscheidungsträgern für die Belange von Menschen mit Behinderung wünschen, dass Barrierefreiheit selbstverständlich ist.
Und als drittes sollten sämtliche Voraussetzungen geschaffen werden, damit ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben mit Behinderung in unserer Stadt möglich ist.
Was denken Sie, könnte helfen, neue Aktive für die Arbeit im Behindertenbeirat zu gewinnen?
Es könnte helfen, die Vorhaben und Erfolge der Beiratsarbeit transparent für alle Bürgerinnen und Bürger zu machen, damit sie sehen, dass es sich lohnt, aktiv mitzumachen. Dazu sollten einzelne Menschen, die sich engagieren wollen, darin bestärkt werden und die Möglichkeiten aufgezeigt bekommen, wie sie aktiv werden können.
Vor allem müssten aber auch die Politiker*innen immer mehr davon überzeugt werden, dass es für sie hilfreich ist, Menschen mit Behinderung aktiv am politischen Geschehen zu beteiligen.
Außerdem würde es helfen, wenn die Kommunen durch Digitalisierung mehr Barrierefreiheit bieten, wie zum Beispiel Ausschusssitzungen im Internet streamen oder Unterlagen digital und barrierefrei anbieten.
Kommentare deaktiviert für Kampagne „Dein Rat zählt!“ unterstützt politische Partizipation in Kommunen
Können Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen überall in NRW gleich gut leben? Leider nein. Je nach Stadt oder Gemeinde unterscheiden sich die Möglichkeiten der Teilhabe enorm. Deshalb ist es wichtig, dass es überall Interessenvertretungen wie Behindertenbeiräte gibt, die vor Ort Ihre Belange aktiv einbringen und so an der Gestaltung ihrer Stadt, Gemeinde oder ihres Kreises mitwirken können. Eine Kampagne der Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben und unseres Projektteams von „Politische Partizipation Passgenau!“ soll nun zusätzlich für die politische Arbeit vor Ort werben und ihr eine Plattform geben.
„Dein Rat zählt – Gestalte im Behindertenbeirat Deine Kommune für alle mit!“ So lautet der Titel der Kampagne. Im Zentrum stehen Porträts und Interviews Aktiver aus den Kommunen. Die Interviews sollen zeigen, was aktuell in NRW in den Behindertenbeiräten und Interessenvertretungen geleistet wird. Dazu sollen die unterschiedlichen Wege der politischen Partizipation aufgezeigt und Interessierte motiviert werden, sich selbst zu engagieren. Denn es ist wichtig, dass die Expert*innen in eigener Sache – die Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankung – mitdenken, mitreden und vor allem mitentscheiden, was in der eigenen Kommune passiert.
Ein guter Zeitpunkt, jetzt zu starten: die Kommunalwahl 2020
Dieses Jahr wird in NRW gewählt. Das heißt auch in einigen Kommunen, dass sich die bestehenden Beiräte neu zusammensetzen. Ein guter Zeitpunkt für alle, miteinzusteigen, sich zur Wahl zu stellen und so aktiv zu werden. Und auch, um die Aufmerksamkeit, die der Kommunalpolitik durch die Wahlen zukommt, für die Neugründung einer Interessenvertretung, wie etwa eines Beirats, zu nutzen. 2020 ist also ein gutes Jahr, um aktiv zu werden!
Eine Kampagne zum Mitmachen
Es geht um die Aktiven vor Ort. Deshalb ruft das Kampagnen-Team zur aktiven Teilnahme auf. Erfahrungen und Anregungen können via Instagram, E-Mail oder telefonisch geteilt werden. Dazu stehen bald diverse Materialien, wie Postkarten und Vorlagen für Flyer oder Plakate zur Verfügung.
Das Kampagnen-Team sucht Erfahrungen von Aktiven aus den Kommunen.
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